Sonntag

Leseprobe aus "Kara - Das Pfand des Friedens"

Es war der Abend vor meiner Hochzeit und zugleich mein fünfzehnter Geburtstag.
Heute habe ich mein Leben gefeiert und morgen zelebriere ich den Tod …
Klingt zu melodramatisch? Ist aber wahr. Morgen werde ich mit Spiro, Fürst von Soringen, vermählt.
Nein, es war nicht mein Wunsch.
Wenn ich mir einen Mann aussuchen dürfte, dann würde meine Wahl bestimmt nicht auf Spiro Mac‘Arawn fallen. Der ist nämlich echt alt! Mindestens dreissig! Und er hat einen Bart. Wenn er isst, verfängt sich allerlei darin. Ich habe das Spektakel heute mit ansehen dürfen. Spiro sass nämlich am Geburtstagsbankett neben mir.
Bestimmt hat er grausiges Ungeziefer in dieser widerlichen Gesichtsbehaarung. Das ernährt sich dann von den Krümeln und seiner Bartspucke … Würg, kotz, kotz.
Besser nicht länger darüber nachdenken.
Die Hochzeit war die Idee meines Vaters Glenuick Mynydd. Mein Vater ist Herrscher über Gloinwellows, dem Nachbarland von Soringen, und unser Land liegt seit Jahrhunderten mit dem angrenzenden Fürstenhaus im Krieg.
Kommt ein Gloin zur Welt, spuckt er sogleich auf alle Soren, bevor er seinen ersten Schrei tut!
Nein, ich übertreibe nicht. Unsere beiden Völker können sich nicht leiden.
Es ist eine grausame Tatsache: Jede andere Frau aus dem Volk meines Vaters würde gesteinigt werden, wenn sie sich mit einem Soren einlassen würde.
Aber bei mir, der Tochter des Fürsten von Gloinwellows, sieht die Sache anders aus. Ich bin nämlich das Friedenspfand!
Ja, ich glückliche Jungfrau bin das Band, das die zwei Fürstenländer vereinen wird!
Nachdem das halbe Volk der Soren und die Hälfte aller Gloins in den Kriegen gefallen sind und die Frauen mit der Nachwuchskriegerproduktion in Rückstand gerieten, ergab sich ein Problem, das unseren beiden Ländern zum ersten Mal Waffenstillstand einbrachte.
Der Grund für den, ich nenn ihn mal Zwangsfrieden, ist ja schon ein wenig seltsam …
Na ja, es gab schlicht keine kampffähigen Krieger mehr. Sind alle tot oder verwundet.
Eigentlich traurig, dass ich in einem Land aufwuchs in dem Tagein und Tagaus gestritten wurde. Vielleicht ist das ein guter Grund mein aufbrausendes Wesen und meinen Sturkopf zu entschuldigen?!
Doch ich kenne es ja nicht anders und deshalb zerbreche ich mir auch nicht den Kopf. Ausserdem hat mein Vater ja eine Lösung: Eine Hochzeit mit dem Feind.
Vater überlegte zwar kurz, ob er die Frauen zu Kriegern ausbilden konnte. Aber meine Mutter riet ihm davon ab.
„Wenn Frauen in den Krieg ziehen“, meinte Lady Gwynaeth unschuldig, „für was sind dann die Männer noch zu gebrauchen?“
Mein Vater schluckte leer und machte ein überaus empörtes Gesicht. Wie immer wenn er sich aufregte, lief er dunkelrot an. Zusätzlich zuckte seine Halsschlagader wie eine aufgespiesste Schlange, was mehr als gruselig aussah. Er ballte seine Hände zu Fäusten und normalerweise hätte er seiner Empörung lautstark Luft gemacht. Aber bei meiner Mutter wagte er das nicht. Meine Mutter war die einzige, die von seinen Wutausbrüchen verschont blieb. Ich habe noch nicht herausgefunden, woran das liegt. Möglicherweise liebte er sie einfach zu sehr.
Wie auch immer … Meine Mutter war ein schlauer Kopf. Sie rettete mit einer einzigen Bemerkung vielen Frauen das Leben.
Dafür sollte nun ich geopfert werden. Also nicht direkt, nicht auf die Kriegerart: Kopf ab und aus ist‘s …
Doch aus diesem Grund bin ich nun mit Herrn von Bartspucke verlobt.
Was für ein Desaster!
Aber was soll ich machen? Es ist meine fürstliche Pflicht!
Ja, unter uns gesagt, ich fühle mich richtig nobel. Ich füge mich dem Wunsch meines Vaters. Es ist mir eine Ehre, mein Leben dem Frieden zu opfern.
Vielleicht werde ich zur Legende. Bestimmt dichten die Barden schon an den lyrischsten Reimen um meine Schönheit und mein reines Herz zu loben.
Wenn Spiro jetzt noch ein toller, rasierter Adliger wäre … Ach, ich wär so was von Zufrieden und Erhaben.

„Brauchst du mich noch, Herrin?“
Ich schreckte aus meinen Gedanken auf und sah in Linns besorgtes Gesicht. Verneinend schüttelte ich den Kopf.
„Nein, Linn, geh nur“, murmelte ich.
Ich hatte mich gerade gefragt, ob Spiro erwartete, dass ich ihm ab morgen jeden Abend den Bart kämmte.
„Ich werde für dich beten, mein Kind“, sagte Linn sanft und drückt mir einen Kuss auf die Stirn.
„Denkst du denn, es nützt etwas?“, fragte ich und verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. Ich war da durchaus skeptisch. „Gott ist vielleicht gerade beschäftigt. Und ausserdem bin ich doch das Pfand des Friedens. Ich kann mir vorstellen, Gott gefällt es, wenn man etwas für den Frieden tut.“
Pfand des Friedens, den Beinamen hat mir mein Vater verpasst, als er dem Volk die frohe Botschaft verkündete, dass ich dem Volksfrieden zu liebe zwangsverheiratet wurde.
Wie romantisch, seufzten die Bürger und trockneten sich mit ihren dreckigen Ärmeln die Tränen, die ihnen in Bächen über die Wangen liefen.
Ich stellte es mir zumindest vor. Es wäre toll, wenn sie mal vor Freude weinen könnten. Sie haben durch den Krieg genug gelitten.
Ich dachte ja auch ich träume! Nie hätte ich vermutet, dass sich mein Vater, der sturste Dickkopf der Welt, und Spiro, der gerade erst den Fürstensitz von seinem im Krieg gefallenen Vater geerbt hatte, je einig werden würden.
Ich hatte eigentlich erwartet, sie würden sich vor dem Hohen Rat die Köpfe einschlagen.
Mist, leider Pech gehabt.
Die Vereinigung der Länder war beschlossene Sache und soll mit einer Hochzeit der beiden Fürstenhäuser besiegelt werden.
Das Volk jubelte und ich hätte mich zu gerne vom Wehrturm gestürzt.
„Wenigstens darf ich dich in dein neues Heim begleiten“, meinte Linn.
„Ja, dafür bin ich auch dankbar“, sagte ich und beobachtete meine ehemalige Amme, wie sie mit zittriger Hand meine Bettdecke glatt strich.
Linn ist schon uralt. Sogar ihre Runzeln haben Runzeln. Wenn ich sie so betrachte, könnte sie den Jahren nach die Mutter meiner Mutter sein.
Der Gedanke gefiel mir. Linn war, seit sie mich als Säugling gehütet hatte, meine engste Vertraute und mein Felsen im stürmischen Lebensmeer.
„Versuch trotz allem zu schlafen. Der Tag morgen wird lang.“ Sie seufzt und einen Moment lang glaubte ich, dass Linn anfangen würde zu weinen. Doch sie wünschte mir eine gute Nacht und ging.
Nachdenklich hörte ich auf ihre leiser werdenden Schritte und als sie verhallten, drehte ich mich zum Fenster und schaute hinaus.
Es war eine sternenklare Nacht, aber trotzallem kam sie mir düster und bedrohlich vor.
In Wahrheit war es aber nicht die Nacht, vor der ich mich fürchtete. Es war vielmehr der morgige Tag, der mir Sorgen bereitete.
Niedergeschlagen wandte ich mich ab und kroch ins Bett.

Die letzte Nacht in meinem Zimmer war schwer zu ertragen. Ich mochte mein Zuhause und der Abschied von meinen Eltern, der Burg und all dem Vertrauten fiel mir unsäglich schwer. Die Burg meines Vaters Glenuick ist von beeindruckender Ausmass, mit vielen geheimen Gängen und einer Folterkammer, die schon grosse Grafen beeindruckt hat. Selbst Hughewan der Ungestüme, war davon fasziniert, als er zur Sommersonnenwende zu Gast war und hatte sich gutgelaunt auf die Folterbank gelegt. Na ja, ich fand das ein wenig geschmacklos, aber es war trotzdem ein lustiger Abend gewesen.
Meine Eltern gaben gerne Festbankette damit sie mit unserem Besitz protzen können. Das hört sich nun nicht sehr liebenswert an, aber man muss sich nur bewusst werden, wie viel Mühe sich ein Fürst heutzutage machen muss um an Reichtum zu kommen.
Und ihn zu behalten!
Erbschleicher und Rebellen sind ein alltägliches Laster, mit dem meine Verwandten leben müssen. Besitztum, Gold und Ansehen sind die eine, die schöne Seite, Verlust von Angehörigen und Körperteilen die andere. Mein Urgrossvater mütterlicherseits hat sich unsere Burg hart verdient. Mehrere Monate hatte er den damaligen Fürsten von Gloinwellows belagert. Beim Angriff hatte er seine drei Söhne und den rechten Daumen verloren, weswegen er fortan sein Schwert mit links schwingen musste. Und das tat er sehr geschickt. So gewann er nicht nur den Titel als Gloinfürsten, sondern bekam auch den Übernamen ‚Alwyn der Linke‘. Den Herrschertitel trug er leider nur kurze Zeit. Er verstarb wenige Wochen später an einer Magenverstimmung.
Es gab auch Gerüchte, dass seine Frau ihn vergiftet hätte, weil sie, durch den Verlust der Söhne, kurzzeitlich ihren Verstand verloren hatte. Der Wahnsinn ging den Legenden zu folge vorbei und als mein Urgrossvater würdig beerdigt worden war, gründete meine Urgrossmutter die Grundlage des Gloinschen Imperiums. Ihr damaliges Reich erstreckte sich über ganz Gwynedd und die Insel Anglesey, die sie aber an ihren Schwager abgetreten hatte, was ich ihr nicht zum Vorwurf mache, da sich eine alleinstehende Frau nun wirklich nicht um alles selbst kümmern kann. Ich bin, wie man merkt, überaus stolz darauf zu der ältesten und gleichzeitig wohlhabendsten Familie des Landes zu gehören.
Spiros Burg Cosy Castle ist auch beeindruckend und von aussen echt hübsch anzusehen. Zudem gehörte Spiro ein weitläufiger Park und ein Wald, den er gerne zum Jagen nutzte. Aber Cosy Castle ist nun mal nicht mein Zuhause. Jedenfalls noch nicht. Die Tatsache, dass ich so viel hinter mir lassen musste, stimmte mich melancholisch. Ich schwöre, ich wollte schlafen! Aber ich konnte nicht. Zukunftsvisionen von dicken, bärtigen Kindern raubten mir beinahe den Verstand.
Irgendwann schwang ich genervt meine Beine aus dem Bett und stand alsbald wieder vor dem Fenster. Die Sterne leuchteten noch immer. Wieso sollten sie auch nicht? Sie waren frei. Und ich beneidete sie so sehr darum, dass es in meinem müden Kopf schmerzte.
Aus diesem Grund kann ich alles was ich nach meinem Blick in die Sterne tat, nur meinem übermüdeten Gehirn zuschreiben. Irgendwann brachte ich den Gedanken, mein Zimmer zu verlassen und ein letztes Mal meine Lieblingsplätze aufzusuchen, nicht mehr aus dem Kopf.
So fand ich mich wenig später im Burghof wieder. He, das war ja nicht verboten! Keiner der Wachen konnte mir einen Spaziergang verwehren. Und ich machte oft lange Spaziergänge.
Jedoch nur selten in der Nacht.
Ehrlich gesagt, war mein unstillbares Verlangen nach einem nächtlichen Spaziergang gar nicht so seltsam, denn ich wollte mich gerne noch von einer Freundin verabschieden.
Mein Vater hätte das nicht gutgeheissen, deshalb hielt ich mich auch jeweils im Mauerschatten auf, wenn eine Patrouille vorbeikam. Ich hatte meinen nachtschwarzen Umhang an und die Kapuze zog ich mir tief ins Gesicht.
Nicht, dass ich sie noch verschreckte, die armen Wachleute.
Niemand sah mich … Das dachte ich zumindest, bis sich zwei Hände von hinten vor meine Augen legten und mir die Sicht nahmen.
Ich fuhr herum und hatte sogleich wieder eine Hand im Gesicht.
Im Schreck dachte ich, der Unbekannte wollte mich schlagen, doch er hielt mir bloss den Mund zu. So dämpfte er den Schrei, den ich zeitgleich ausstiess.
Ich erkannte Colin, den Sohn des Schmieds, der kreideweiss wurde als er mich erkannte und sofort seine Finger aus meinem Gesicht entfernt.
„Colin Smith!“, sagte ich ärgerlich, aber eigentlich war ich sehr erleichtert, dass es nur der Sohn des Schmiedes war und nicht die Wache. Das hätte ein schönes Theater gegeben!
„Verzeiht, Milady, ich habe Euch nicht erkannt. Ich dachte, ihr wärt … jemand anderes“, stammelte Colin.
Bestimmt hatte er hier auf sein Liebchen gewartet und mich mit seiner Angebeteten verwechselt.
Ich sah Colin an, dass er nicht glauben konnte, wen er da stattdessen, im Schatten überrascht hatte. Bei dem Gedanken, dass ich mich spät nachts völlig unbewacht herumtrieb, fielen ihm beinahe seine schönen dunkelblauen Augen aus dem Kopf.
Ich fand es richtig süss, ihn so in Verlegenheit zu sehen und hatte ihm seine unangebrachte Berührung schon beinahe verziehen, konnte es aber nicht unterlassen, ihn ein wenig auf den Arm zu nehmen.
„Dafür, dass du mich angefasst hast, könnte mein Vater dir beide Hände abhacken!“
Colin starrte mich einige Sekunden lang an, als wollte er abschätzen, ob meine Aussage ernst gemeint war.
„Wäre schwierig, danach meine Arbeit als Schmied fortzuführen“, sagte Colin trocken und ich unterdrückte ein Grinsen.

aus KARA UND COLIN - DAS PFAND DES FRIEDENS
von Stefanie Ziegler
ISBN 978-3735777706
280 Seiten